Uwe Knop

Uwe Knop ist Ernährungswissenschaftler und Buchautor. Vor allem sein Buch “Kind, iss’ was …dir schmeckt!” hat uns persönlich sehr geholfen, gelassener mit dem Thema Kinderernährung umzugehen. Im Interview erklärt er uns, warum wir die allermeisten Medienberichte zum Thema “gesunde Ernährung” getrost ignorieren können.

Herr Knop, Sie sind Ernährungswissenschaftler und sagen: Es existiert nicht eine einzige glaubhafte Studie zum Thema Ernährung. Das müssen Sie uns genauer erklären…

Uwe Knop: Ich habe in den letzten zehn Jahren etliche tausend Studien zum Thema Ernährung ausgewertet. Und mein objektives Fazit lautet: Die Ernährungswissenschaften sind nicht in der Lage, Kausalitäten zu liefern, sprich Ursache-Wirkungs-Belege. Wenn Sie also lesen „Wer die meisten Bananen isst, lebt länger“, dann heißt das nicht „Bananen verlängern das Leben – ergo: Esst Bananen für ein langes Leben“. Aber genau nach diesem Schema werden Ernährungsregeln „gebastelt“.  Doch Ernährungsforschung ist nicht mehr als eine Glaskugel, denn sie basiert auf Beobachtungsstudien. Und die liefern nur Korrelationen, also statistische Zusammenhänge wie mit den Bananen. Mehr nicht.

Wie kann es dann sein, dass uns medial etwas ganz Anderes vermittelt wird?

Sie müssen bedenken: Bei jeder Studie kommt es darauf an, wie die Wissenschaftler und die Presseabteilungen die Ergebnisse interpretieren. Ein Beispiel: Eine Studie zum Fast Food-Konsum bei Kindern und Jugendlichen stellte fest: Kinder, die häufig Fast Food essen, haben einen minimal höheren BMI als Kinder, die davon weniger essen. Bei den Jugendlichen zeigte sich genau das Gegenteil: Je mehr Fast Food auf dem Speiseplan, desto niedriger der BMI. Die Interpretation im Abstract: Fast Food macht Kinder dick! Und weiter: Bei Jugendlichen müsse man die Ergebnisse vorsichtig interpretieren, es gebe zu wenig Daten, da müsse man noch genauer hinschauen. Die Aussage „Fast Food macht Jugendliche schlank!“ wäre da konsequenter gewesen. Aber auch das ist Quatsch, Stichwort: keine Kausalitäten! Hinzu kommt: Das, was Sie in den Medien lesen, haben PR-Experten den Redaktionen vorformuliert. Und die haben das Ziel, möglichst viel Aufmerksamkeit, also Veröffentlichungen, zu erzeugen. Da kann in einer Pressemitteilung also unmöglich stehen: „Ballaststoffe verlängern möglicherweise, eventuell und unter bestimmten Voraussetzungen das Leben um ein paar Wochen“ Darüber schreibt natürlich kein Journalist…

Wie gehe ich als Leser mit solchen Informationen um?

Immer, wenn Sie Dinge lesen wie „Gemüse schützt vor Krebs“, also sprich wenn „A schützt vor, reduziert, verlängert, erhöht B“: einfach schmunzeln und am besten weiter blättern. Die Ernährungsforschung kann keine Kausalzusammenhänge herstellen. Für mein Beispiel „Gemüse schützt vor Krebs“ gibt es also keinen wissenschaftlichen Beweis. Das gilt übrigens auch für Aussagen wie: Zucker macht dick, Fleisch ist ungesund, Fett verkalkt die Adern.

Der Zucker hat es ja im Moment besonders schwer. Die WHO empfiehlt nicht mehr als 25 Gramm pro Tag zu essen. Wer sich nicht daran hält, wird dick und krank?

Ich sage Ihnen ganz ehrlich, was ich vermute: Das ist frei erfunden. Organisationen wie die WHO wollen uns damit Kompetenz suggerieren, also, dass sie sich kümmern und Bescheid wissen. Ich persönlich finde allerdings, dass es nicht die Aufgabe der WHO ist, auf unsere Teller zu schauen. Da gibt es viel dringendere globale Probleme, Seuchen wie Ebola zum Beispiel. 25 Gramm Zucker pro Tag bedeutet: Eine erwachsene Frau dürfte nicht mal eine Dose Cola trinken. Milchzucker zählt bei diesen 25 Gramm nicht dazu. Obst auch nicht. 100 Gramm Weintrauben haben aber beispielsweise mehr Zucker als 100 Milliliter Cola. Auch daran erkennen Sie, wie willkürlich solche Empfehlungen sind.

Was sich aber nur schwer wegdiskutieren lässt: Nach dem Zuckerverzehr steigt der Blutzucker rasch an, der Körper schüttet Insulin aus, der Blutzuckerspiegel fällt wieder ab – und wir kriegen Heißhunger. Ist es nicht vielleicht doch eine gute Idee, auf Zucker zu verzichten? Oder ihn zumindest einzuschränken?

All diese Dinge können Sie getrost ignorieren. Es gibt darauf auch keine pauschale Antwort. Jeder Mensch reagiert anders. Die entscheidende Frage ist: Wie fühle ich mich, wenn ich ein Nutella-Brot esse? Wie reagiert mein Körper? Wann bin ich wieder hungrig? Gesunde Ernährung ist individuell. Zucker zu verteufeln ist absoluter Quatsch. Denn es gibt keinen einzigen Beleg dafür, dass er uns krank macht. Sie finden beispielsweise keine Evidenz dafür, dass Zucker Diabetes verursacht. Früher machte man Fett und Cholesterin für Krankheiten verantwortlich. Jetzt ist der Zucker der neue Teufel. Daran können Sie schon ablesen, wie hilflos Organisationen wie die WHO und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sind.

Es gibt ja die viel zitierte Ernährungspyramide der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die beispielsweise häufig auch in Kitas aushängt. Das kann aus Ihrer Sicht ja nicht in die richtige Richtung gehen… Brauchen wir überhaupt eine Ess-Erziehung?

Auf keinen Fall eine zur „gesunden Ernährung“. Diese Ernährungspyramide ist nichts weiter als reine Bevormundung basierend auf pseudowissenschaftlicher Willkür. Den Erziehern kann man aber keinen Vorwurf machen. Sie wissen es ja nicht besser und denken sich: Wenn die DGE das so veröffentlicht, wird es wohl stimmen. Und es kommt niemand auf die Idee, zu sagen: Wir nehmen diese Pyramide jetzt mal von der Wand, denn das ist reine Ernährungspropaganda. Ich halte das Thema Ess-Erziehung sogar für einen sehr gefährlichen Trend.

Inwiefern?

Die Kinder beginnen, sich ständig selbst zu hinterfragen: Was ich fühle, ist falsch. Was mein Körper mir signalisiert, kann nicht stimmen. Das, was ich essen möchte, ist ungesund. Davon darf ich nicht zu viel essen, sonst werde ich dick. Das kann durchaus zu Essstörungen führen, denn die Kinder werden angehalten, ihre Körperbedürfnisse zu ignorieren und zu unterdrücken. Wenn ich hungrig bin und plötzlich zittrige Hände bekomme, signalisiert mir mein Körper, dass er schnell Energie braucht. Dann esse ich etwas Süßes. Aber bestimmt keine Gurke… Eltern entwickeln oft den Ehrgeiz, den Brokkoli doch irgendwie in das Kind reinzukriegen: Er wird dann fein püriert und auf die Pizza gestrichen. Das ist absurd. Denn dabei geht es nicht um das Wohl des Kindes, sondern nur darum, dass die Eltern ihr eigenes, durch Ernährungspropaganda eingeimpftes schlechtes Gewissen, beruhigen. Sehr schlecht fürs Kind.

Welche Unterstützung brauchen Kinder tatsächlich in puncto Ernährung? Laisser-faire in allen Situationen ist aus unserer Sicht auch nicht der richtige Weg.

Das praktische Küchen-Einmaleins sollten Kinder durchaus kennenlernen: Wo kommen die Lebensmittel her?Wie schneide ich einen Apfel? Wie bereite ich eine Mahlzeit zu? Eben all diese Dinge. Aber bitte niemals erklären, was gesund sei und was nicht. Auch Verbote bewirken genau das Gegenteil: Süßes wird dann erst recht interessant. Wenn es aber jederzeit frei verfügbar ist, verliert es seinen Reiz. Mit anderen Worten: Alles, was reglementiert wird, wollen wir und besonders die Kinder umso mehr haben.

Warum fällt es uns als Eltern manchmal so schwer, beim Thema Ernährung Vertrauen zu schenken?

Weil es unser Weltbild zerstört. Regeln, Vorgaben, Empfehlungen: All das gibt uns Sicherheit, daran können wir uns orientieren. Aber vielleicht hilft es Eltern, zu verstehen, dass der Körper nichts fordert, was ihm schadet. Warum sollte er das auch tun? Deswegen rate ich immer: Schaut auf euer Kind. Ist es gesund und zufrieden? Fühlt es sich wohl? Dann macht aus der Ernährung bitte kein künstliches Problem.

Das klingt in der Theorie sehr leicht…

Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass es für eine gesunde Ernährung keinerlei wissenschaftliche Belege gibt. Es bleibt uns dann also nur eins: auf den Körper vertrauen.

Der Körper als wichtigster Ernährungskompass des Menschen: Wird sich diese Haltung irgendwann gesellschaftlich verankern?

Das wäre schön! Aber im Moment sehe ich es so, dass der Zenit des Ernährungswahns noch nicht überschritten ist. Es geht in unserer Gesellschaft nicht mehr darum, primär den Hunger zu stillen, es sind ja immer und überall genügend Lebensmittel verfügbar. Das bietet natürlich einen hervorragenden Nährboden, um alles Mögliche in die Ernährung hinein zu interpretieren. Der Teller wird zum Schmelztiegel der Emotionen und Persönlichkeitsbildung. Wir profilieren uns, wenn wir low carb oder paleo essen. Wir gehören einer Gruppe an, wenn wir uns vegetarisch oder vegan ernähren. Und wenn wir ständig hören: Zucker ist der Teufel – dann glauben wir das irgendwann. Es wird lange dauern bis wir das aus den Köpfen rauskriegen. Sie dürfen dabei natürlich auch nicht vergessen, dass sich mit „Besser-Esser-Hipster-Lebensmitteln“ wie glutenfreien Spaghetti bei Ernährungshypochondern viel Geld machen lässt – denn an den weniger als 1 Prozent Zöliakie-Patienten verdient man nicht viel. Aber trotz allem: Ich glaube daran, dass es gelingen kann.